„Freund oder Feind. Etwas anderes gibt es für mich nicht mehr.“

Mein Glaube. Meine Geschichte.

„Freund oder Feind. Etwas anderes gibt es für mich nicht mehr.“

Mein Glaube. Meine Geschichte.

Freund oder Feind. Etwas anderes gab es für mich nicht mehr. In meiner Welt war die Grenze klar gezogen. Jeder Schritt, jede Entscheidung, jedes Wort fiel auf eine Seite dieser unsichtbaren Linie. Ich hatte mich selbst in eine Rolle gezwungen, in der das Leben nur noch schwarz und weiß war. Doch als das Fundament meiner Überzeugungen zu bröckeln begann, musste ich erkennen, dass die Welt weitaus komplizierter und trotzdem schöner ist.

Ich bin Emil, 26 Jahre alt, aus Burgdorf. Mein Vater ist Iraner, meine Mutter Deutsche. Ich habe zwei Schwestern und wir wuchsen zusammen auf. Als ich acht Jahre alt war, verließ mein Vater unsere Familie, und meine Mutter stand plötzlich allein da – was für sie sehr schwer war.

Ich habe schon früh Verantwortung übernommen, hatte viele Nebenjobs und half meiner Mutter, wo ich konnte. Bei den Jobs hatte ich eigentlich ständig Stress mit Vorgesetzten. Ich fühlte mich oft missverstanden und glaubte, ich wäre den meisten Leuten überlegen. Ich hatte immer meinen eigenen Kopf.

Sport war schon immer mein Ding. Ich spielte echt gut Basketball und mein Traum war es, auf ein Basketballinternat zu gehen. Das konnte sich meine Mutter aber nicht leisten, und als ich dann körperlich nicht mehr in meiner Mannschaft mithalten konnte, stieg ich auf Kickboxen um. Ich wollte mich stärker machen.

Im Verein um die Ecke fühlte ich mich sofort willkommen. Das Training machte mir von Anfang an Spaß. Aber die Ansichten der anderen Jungs waren irgendwie komisch, vor allem ihre Meinung über Frauen im Sport. Sie wollten, dass alle in unterschiedlichen Hallen trainieren. Frauen sollten am besten einen eigenen Verein haben. Ich diskutierte oft darüber. Irgendwie konnte ich das aber auch verstehen. Männer trainieren nun mal anders und für Körperkontakt war ich zu schüchtern.

Der Großteil der Trainingsgruppe ging zusammen in die Moschee. Da wollte ich auch dazugehören. Nicht, weil mich die Religion besonders interessierte. Ich hatte das Gefühl, dass ich zwar im Verein willkommen war, aber nicht wirklich dazugehörte.Ein Freund aus dem Verein nahm mich dann mal in die Moschee mit. Ich hatte eigentlich gar keinen Bezug zu Religion, aber die Struktur und das Gemeinschaftsgefühl dort haben mich sofort abgeholt. Ich sprach mit meiner Mutter darüber und sie erzählte mir, dass auch mein Vater muslimisch gelebt hat. Das gab mir den Antrieb mehr zu erfahren.

Schnell tauchte ich tiefer in den Islam ein. Man kann sagen: Ich habe mich darin gefunden. Rückblickend fällt mir auf, dass ich mich echt schnell radikalisiert habe. Ich reiste zu verschiedenen Moscheen, ließ mich mit bekannten radikalen Predigern fotografieren und fühlte mich bestätigt. Ich war jemand. Ich war auf dem richtigen Weg. Ich ließ mich mitreißen.
Ich versuchte so genau wie möglich nach den Glaubensgrundsätzen zu leben, die mir vermittelt wurden. Und ich versuchte auch andere davon zu überzeugen. Eigentlich war es genau, wie beim Sport – wenn ich etwas machte, dann richtig. Ich besuchte viele kleinere Lerngruppen, die mir ein damaliger Freund empfohlen hatte. Ich war davon überzeugt, dass ich nur durch die extreme und genaue Ausübung des Islam eine gute Zukunft haben werde. Das Leben war für mich nur noch eine Durchgangsstation in das Paradies. Hinterfragt habe ich nie irgendwas, was mir gelehrt wurde. Es hat mir irgendwie eine innere Ruhe gegeben zu wissen, dass die Zukunft gut wird, wenn ich tue, was von mir erwartet wird. Es wurde mir immer so beschrieben, wie ein Punktesystem. Wie in einem Videospiel. Wenn ich genau so lebe, wie es von mir erwartet wird, habe ich am Ende so viele Punkte gesammelt, dass ich in das Paradies komme. Nach diesem System war auch klar, dass es nur Freunde oder Feinde gibt – Gläubige oder Ungläubige. Alle die nicht den Glauben lebten wie meine Brüder, Schwestern und ich, hinderten uns daran eine gute Zukunft zu haben.

Dass meine Mutter bei ihrer Arbeit im Supermarkt Alkohol verkauft war für mich ein großes Problem, denn nach meiner Auffassung gehörte sie damit zu Ungläubigen, zu den Feinden. Ich versuchte sie von meinen Ansichten zu überzeugen. Sie warf mir vor, dass ich auf dem falschen Weg sei und, dass die Leute mit denen ich Zeit verbracht habe, versuchten über mich zu bestimmen. Das wollte ich alles nicht hören und es machte den Konflikt zwischen mir und meiner Mutter nur noch schlimmer. Aber ich war immer noch finanziell von meiner Mutter abhängig, obwohl ich mich innerlich längst von ihr abgewandt hatte. Deshalb konnte ich mich nie komplett von meiner Mutter abwenden.
Dann wurde meine Mutter sehr krank. Plötzlich musste ich wieder mehr Zeit zu Hause verbringen und mich um sie kümmern. Die Bruderschaft, von der ich so viel Unterstützung erwartet habe, ließ mich nach kurzer Zeit im Stich. Es gab trotzdem einige aus der Moschee, die mich immer wieder unterstützten und mir zuhörten, aber das waren nicht die Leute, auf die ich so viel Wert gelegt habe. Das waren Leute, von denen ich sonst nicht viel hielt, weil sie meiner Meinung nach den Glauben nicht richtig verstanden und gelebt haben. Das brachte mich zum Nachdenken.

Ich hatte viele Fragen und mein Kopf war kurz davor zu platzen. Es war alles zu viel. Mit den Leuten aus der Moschee wollte ich aber auch nicht mehr drüber sprechen. Ich wollte erstmal gar nichts mehr mit Religion zu tun haben. Ich verstand nicht mehr, wozu Glauben gut ist. Meine Mutter war krank und ich fragte mich, warum das passiert, obwohl ich immer alles befolgt habe.
In meiner Verzweiflung wandte ich mich nach einiger Zeit an meinen alten Basketballtrainer. Er hörte mir zu und empfahl mir beRATen e. V., eine Organisation, die Jugendlichen hilft, wenn sie Konflikte durch Religion haben. Anfangs war ich skeptisch, aber die Gespräche dort öffneten mir die Augen. Ich erkannte, wie sehr ich mich verirrt habe.
Der Glaube war mir allerdings immer noch wichtig. Ich fing wieder an zu beten und konnte dadurch auch stärker für meine Mutter sein.
Die extremen Ansichten, die wir in den gemeinsamen Gesprächen reflektierten, legte ich nach und nach ab. Ich wechselte auch in eine andere Moschee. Hier wurde der Islam viel weltoffener verstanden. Das entsprach wirklich meinen Werten und Vorstellungen.

Heute lebe ich immer noch mit meiner Mutter im selben Mehrfamilienhaus. Die Krankheit konnte sie leider nicht besiegen. Ich kümmere mich jeden Tag um sie. Meine Mutter findet es sehr gut, dass ich einen Glauben gefunden habe, der mir Hoffnung gibt und mich stärkt. Den Kontakt zu meinen damaligen „Freunden“ habe ich komplett abgebrochen. Das war zwar anfangs schwer, aber heute weiß ich, dass der wahre Glaube auf Liebe, Respekt und Offenheit gegenüber anderen Menschen beruht – da ist kein Platz für Hass.

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Team beRATen e. V.